Sprachloser Peter Pilz
"Sein’S mir nicht bös, aber wir haben ein wichtiges Plenum heut, ich kann ihnen jetzt nichts dazu sagen, es ist Wahlkampf", antwortet etwa der Grüne Peter Pilz, der sonst schon beim leisesten Verdacht auf Polizeiübergriffe eine Pressekonferenz gibt. Dabei erging die Anfrage an die Justizsprecher bereits am Donnerstag letzter Woche, einen Tag nach dem umfassenden "Wiener Zeitungs"-Bericht zum skandalösen Schweigen der Justiz in der Causa Kampusch.
Aber nicht nur Pilz schaffte es nicht, innerhalb von sechs Tagen eine Antwort zu geben. Der freiheitliche Justizsprecher (und Innenministeriums-U-Ausschuss-Vorsitzende) Peter Fichtenbauer reagierte trotz wiederholter Urgenz überhaupt nicht.
Der Einzige, der noch am Tag der Anfrage, vergangenen Donnerstag, antwortete, war der ÖVP-Justizsprecher Heribert Donnerbauer – allerdings wollte er den "Wiener Zeitungs"-Bericht gar nicht gelesen haben und auch nicht wirklich "zuständig" sein. Natürlich solle man "offene Spuren, so es solche gibt, verfolgen" – aber es sei halt "politisch sehr schwierig, hier einzugreifen, und vor der Wahl werde ohnehin nichts mehr passieren". Konkrete politische, juristische oder parlamentarische Schritte der ÖVP nannte Donnerbauer keine.
Kaum gehaltvoller die Aussage des Sprechers von BZÖ-Justizsprecher Gernot Darmann: "Wir erwarten uns volle Aufklärung aller hinterfragenswerten Vorgänge. Es ist bezeichnend, dass ÖVP und SPÖ den U-Ausschuss abgedreht haben, bevor er dieses Thema behandeln konnte", sagt Darmann-Sprecher Heimo Lepuschitz. Der Frage nach konkreten Aktivitäten weicht er mit der Floskel "Wir lassen uns alle parlamentarischen Möglichkeiten offen" elegant aus.
Der Einzige, der auch nur mit der Möglichkeit einer parlamentarischen Anfrage kokettierte, war der SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim. Er sei zwar mit dem Fall nicht im Detail vertraut, aber es sei "schon seltsam, wenn – so wie im Fall Fuchs – seitens der Verantwortlichen immer kategorisch die Einzeltäterthese als einzig mögliche propagiert wird", so Jarolim. Wenn nach all den Hinweisen der letzten Zeit aus der Justiz Signale wie "Das interessiert uns nicht" kämen, sei das "für einen Rechtsstaat bedenklich, da brauchen wir dann über Strafverschärfung für Sexualtäter gar nicht mehr weiterreden", so Jarolim.
Obwohl er gegenüber der "Wiener Zeitung" schon vergangenen Freitag davon ausging, dass "hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist", bleibt er die angekündigte Bestätigung einer parlamentarischen Anfrage bis dato schuldig. Möglicherweise haben ihn die Parteigremien zurückgepfiffen, denn SPÖ-Justizministerin Maria Berger wollte zuletzt ebenfalls nichts zu den offenen Fragen der Kampusch-Kommission sagen.
"Glücklich ist, wer vergisst..."
Wesentlich kritischer befassen sich deutsche Medien mit dem Fall: So hatte bereits das Magazin "stern" am 12. Juni 2008 Details zur allerersten Vernehmung des Priklopil-Freundes Ernst Holzapfel gebracht, die direkt aus dem Polizeiprotokoll stammen und in dieser Vollständigkeit damals noch in keinem heimischen Medium zu finden waren. Da die Offizierin einer Eliteeinheit, die Holzapfel damals stellte, bis heute jeglichen Kontakt mit Medien glaubhaft abstreitet, ist anzunehmen, dass deutsche Journalisten es verstehen, undichte Stellen in Österreichs Justiz anzuzapfen.
Der erwähnte Blattaufmacher in der "Wiener Zeitung" dazu (vom 17. September), der die heimische Justiz nicht interessiert, fand dafür gleich mehrfachen und ausführlichen Widerhall im renommiertesten Blatt Deutschlands, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Die Akten zu und viele Fragen offen", titelte das Blatt am vergangenen Sonntag. Und es zitiert gleich mehrfach Fakten und Textpassagen aus der "Wiener Zeitung". Darunter etwa die aufgeworfene Frage, warum von den Ermittlern diverse Aufzeichnungen, Videos und Tagebücher einfach an Kampusch ausgefolgt wurden, ohne Kopien anzufertigen.
Oder warum die burgenländischen Ermittler den Priklopil-Freund Holzapfel nicht eingehend nach dem Grund befragten, warum er der Polizistin, die ihn zuallererst und ohne Angabe von Gründen aufgehalten hatte, spontan gesagt hatte "Hat er’s umbracht!?" – Die Beamtin, der der Mann sehr verdächtig vorkam, versteht das bis heute nicht.
"Die neuen Akten sind jetzt aber geschlossen – und sollen es offenbar auch bleiben", zitiert die FAZ schließlich Polizisten, die "hinter vorgehaltener Hand darüber klagen, dass sie nach einem Stopp der Staatsanwaltschaft nicht weiter haben ermitteln dürfen". Und selbst für die Adamovich-Kommission seien "manche Ordner nicht geöffnet worden", so die FAZ weiter.
So gar nicht deutsch-trocken resümiert das Blatt, dass "so wieder einmal das sehr österreichische Motto aus der Johann Strauß-Operette ,Die Fledermaus’ zum Tragen kommen würde: ,Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist."
Quelle: Wiener Zeitung, Mittwoch, 24. September 2008, von Werner Grotte
URL : http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3941&Alias=wzo&cob=373276
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